Einleitung
Im Rahmen des Projekts Defragmentare wurde das kollektiv sprachwechsel eingeladen, einen literarischen Text zum Thema Flüsse und Kanäle zu schreiben. Ein Dialog entlang der Donau ist entstanden, aus Innen und – Außensicht, basierend auf Recherche (Filmarchive, Medienberichte, Zeitungsartikel) und auf freier Inspiration. Ein Dialog über das Verschwiegene, über die vielen Schichten die die Donauregion verschleiern, über das Bauprojekt des Donau-Schwarzes Meer Kanals in seinen zwei unterschiedlichen Phasen in den 50ern und in den 70ern-80ern. Über Nachbarschaften.
Verschwiegenes, das kann leise sein, aber auch trügerisch laut. Im Zuge der Recherche haben wir erfahren, dass es zwei anerkannte Vermessungsprinzipien der Donau gibt, weil die Flussquelle des fürstlichen Flusses Europas umstritten ist. Es herrscht Uneinigkeit darüber, ab wann die Donau, Donau ist. So wird der Fluss in Stromkilometern (von der Quelle in Richtung der Mündung) wie in Donaukilometern (von der Mündung flussaufwärt) bemessen. Neben ihnen kommen die 64 Kanalkilometer des Donau-Schwarzes Meer Kanals, der kurz vor der Mündung senkrecht aufs Meer zusteuert.
Wasserstand: Donau
Uncongested wird die stimme am Ende sagen. Es dauert einige Zeit bis ich kapiere, dass es um пропускливост, дебит /debit, flow/ hier geht.
Kann Wasser luftig sein?
Uncongested wird die stimme am Ende sagen. Das Ende ist hier jedoch der Anfang und zwar buchstäblich – wo der Fluss ins Meer sich auflöst, ist der Erste Donaukilometer. Auf Donaukilometer 300 befindet sich das, worüber wie hier schreiben und sprechen. Dort wo die Donau früher das Meer trifft, wie ein Film aus den 80-er ankündigt.
Wo berühren sich Wasser und Luft? In welchem Element ist der blaue Vogel aus dem Donaudelta zuhause, der keines gleichen an Schönheit findet – als er sich zeigte, blitzblau und flink, wusste ich sofort wieso, dass alle Wunschvogel die Farbe tragen. Das Blau der Träume flattert vor dem Boot und navigiert uns durch den Schilf.
Ein anderes Mal, als der Zug über die Hochebene von Dobrudscha zum Meer eilte, kam mir der stille Wasserspiegel am Kanal vor wie ein Überbleibsel; im Vorbeifahren schien alles dort stillgelegt, eigenartige Baureste aus einem mytischen Zeitalter. Von mir aus hätten die Zementwände egyptisch sein können, sie rührten nichts an meiner Ungeduld. Ich wollte ja, wie alle Schüler_innen im Zugabteil, ankommen, in die Wellen platschen, ich sehnte die Freude voraus bei der mein Körper im Wasserströmung untertauchen und von ihm aufgenommen würde. Selbst die Donau verblasste gegen diese Emotion, die jedes Landschaftsbild überflutete mit eigenen, flüssigen Zeichen.
Mein Vater ist am 789 Donaukilometer geboren, meine Großmutter mütterlicherseits am 1938 Donaukilometer. Wenn man das ganze im Stromkilometer misst, ist es ganz anders.
Donaukilometer 2135,1: Nibelungenbrücke. Ein junger Mann überquert sie jeden Tag zweimal. Draško, nennen wir ihn so. Draško überquert die Brücke so als würde nicht die Donau unterhalb fliessen. Auf jeden Fall nicht die Donau, mit der er in seiner Vorstellung sich vertraut machte. Nein, dieses Wasser ist schwer und fremd. Das Wasser der Migration; ein Wasser, das inmitten seiner Strömung scheidet, das keinem Ding erlaubt auf ihrer Fläche zu gleiten und alles sofort versinken lässt. Draško geht zweimal am Tag über die Nibelungenbrücke und sieht weg von der Donau. Am Donaukilometer: 2135,1 ist die Donau nur objektiv die Donau. Irgendwo gestampft, in einer Falte seiner Seele, trägt Draško den Fluss, wie er ihn liebt. Doch zwischen den zwei Flüssen treten keine Ähnlichkeiten auf, der „echte“ Fluss ruft keine Reminiszenz hervor: der imaginierte ist der echte, der echte ist unecht.
Was löst sich in Luft auf und was verdichtet sich zu Traum und was dann zu Wirklichkeit? Welche Materie ist wie beschaffen und wie trägt sie uns? Ist das naturbelassene Wasser auf dem Donaukilometer 850 (vor dem eisernen tor) gleich wie das Wasser auf Donaukilometer (10 km weiter wo das Wasserwerk steht: 863+358)? Obwohl sie sich völlig anders anhören und anfüllen?
Das Wasser fließt. Der Kanal ist offen, die Schleusen werden gefüllt, die Schiffe weiter geleitet, ins offene Meer des beschleunigten Handelns стокооборот? entlassen.
Die Musik baut Spannung auf, mehr würde sie zu Star Wars passen, ich stelle mir den großen Vorsitzenden, nein meine ich nicht Mao, das Jahr in dem der Film gemacht wurde ist 2018, ich meine den, der die Musik billigt одобрява. Er muss bei dem Militär davor gewesen sein. Länger. Mich macht sie nervös, sicher fand er, dass sie Stärke ausstrahlt, drauf verwette ich die alte Cola Flasche, original aus den 1980, mit kyrillischen Buchstaben.
Der Schnitt im Film ist sauber und hart, es werden alle umliegende Ärmel und Cargohäfen technisch beschrieben. Doch da fehlt das Inhaltsverzeichnis oder eine Struktur, an der man sich orientieren könnte, wo genau war dieser See? Was sind die Vorteile von den verschiedenen Häfen? Ich gerate durcheinander.
Das Tempo geht aus der Anhäufung von Zahlen hervor. Ja, das militärische Trommeln der Zahlen. Durch die Faszination für Statistik wird die Gegenwart untermauert. Dabei ist es ja gar nicht notwendig, dass jemand beim Militär war. Es genügt, die angebliche Effizienz der Infrastruktur heraufzubeschwören – die Masse von Materialien, die durch die Schleusen jährlich passieren. Die Zinsen, die Prozentangaben. Ich fahre entlang der Donau um die Zahlen verpuffen zu lassen. Schon lange vor der Mündung wirkt der Fluss wild, wie auf sich selbst gestellt. Eine Kuhherde badet in einer Lacke. Die Hinterlassenschaft von Wasser: die Dürre zwang den Strom in sein Bett zurück und die Kühe profitieren von dem Spätsommertag. Vor der Saligny-Brücke bei Cernavodă ankert ein weißes Schiff, west-europäische Tourist_innen, pensionierte, ich weiß nicht, worauf sie dort warten: es gibt keine Restaurants in der Umgebung, keine Klöster, nur die trostlosen Weiden und die Birken, die das Wasser von der Ferne begleiten, als würden sie dem mächtigen Fluss Respekt zollen. In den Schluesenstationen ist alles automatisiert, alles neu, Phillips, 180 Millionen EURO, teils rumänisches, teils EU Geld. Aber wenn man entlang des Kanals weiter geht, da bersten die Wandhalterungen. Die Erde hat den Stahl und Beton durchgebrochen und eingebeugt. Die Natur rächt sich am Modernisierungswille. Vor 30 Jahren hat der Kanalbau 2,2 Miliarden Dollar gekostet. Wer deckt heute die Erhaltungskosten, das „Volk”, die EU, der Staat? Wem kommt der Gewinn dieser ganzen Bewegung, die auf Wasserstraßen erfolgt, zu? Es gibt Nachmittage, da liegt man auf einer Anhöhe und keine Barge ist zu sehen, flussauf und –ab, egal; aus der trügerischen Stille erhebt sich ein fernes Lied, jemand grillt wahrscheinlich am Ufer, in einer gedeckten Lichtung, wie es einmal tatsächlich passiert ist, neben dem Monumentalen Mosaik, das Soldaten (de facto Zwangsarbeiter) und Arbeiter beim Bau des Kanals darstellt. Die Leute beim Grillen, die offensichtlich an einem abgeschiedenen Ort feiern wollten, waren aus Westeuropa zurückgekehrt (französisches Autokennzeichen, wahrscheinlich Sommerurlaub). Km 40. Sommer 2019.
Ich sehe das Land – 1984 hat man den Kanal eröffnet, 1987 den nächsten Ärmel, 1992 wollte Ceaușescu mit dem Bau eines riesen Staudamms beginnen. Dieser Damm hätte an der Stelle stehen sollen, gleich bevor die Donau ihr Delta formt. Der Ort heißt Măcin. Ein ganzes Gebiet vor der Stadt Brăila wäre überflutet, die Flora und Fauna der unteren Donau hätte danach mit dem Leben neu anfangen müssen. Viele waren dagegen (vor allem in den benachbarten Ländern, die unmittelbar betroffen wären: Bulgarien, Serbien, hat sich eine Opposition formiert). Aber inzwischen ist die Revolution passiert. Die Bauarbeiten wurden eingestelllt danach. Politisch galt das Projekt als Ausdruck eines wahnsinnigen Willens, der Monster gab seinem Größenwahn nach usw. Keine Regierung erwähnte dieses Bauprojekt noch. Dennoch wurde restrukturiert, erhalten, renoviert. Stillschweigend. Wie wurden die Leute nach der Wende bezahlt? Wer hat noch dort gearbeitet? Sind die Menschen aus 1984 gewesen oder ganz andere? Was konnte man sich mit dem Geld damit kaufen? Was wollte man sich kaufen? Eine Wohnung? Oder die coolen Adidas Sneakers? Oder einen Berg Snickers?
Die Präsentation geht weiter: in keinem dieser Bilder auch das leiseste Zeichen oder Reminiszenz, dass es hier schon ein Mal einen Kanal gebaut worden ist, damals, im 1948. Alles ist nur jetzt und da, die Selbstherrlichkeit des Durchschleusen.
Was darf sich zu Realität verdichten? Heute, gestern? Was darf zu morgen werden, Konturen entwickeln? Welche Wahren, wessen Wahrheiten?
Die Bilder wechseln schnell und sind eintönig: Häfen, Maschinen, Becken, alles hier wirkt banal, ist bezahlt, wird verbraucht. Die Tatsachen härten sich ab im Zustrom.
Welches Wissen darf weiter gegeben werden?
Und dann zeigst du mir diesen alten Propaganda?-Film aus den 1980-ern. Die Poetik so wie man sie aus den guten Sowjetfilmen kennt. Poetisch, ein Essay in dem die unendliche Weite als erste ins Auge springt. Freiheit und Weite. Und die unbarmherzige Natur die man bezwingt, zähmt, mild und sanft macht. Oder zumindest nützlich. Die Sehnsucht ist zu greifen, nah, auch wenn ich kein Wort aus dem Off-Text verstehe, deine Sprache kann ich nicht. Aber ich glaube zu verstehen und ich werde es mir übersetzen lassen, wenn alles was ich darüber denke nieder geschrieben ist.
„Die Dobrudscha Steppe… Meeresküste… Unser Weltrand, wohin der kräftige Fluss Donau fließt… Zwischen diesen Gewässern: Dobrudscha voller Staub und Sonne… Niedergebrannte Felder, getötete Kräuter… Erde in deren Rissen sich die Schatten verbannen… Langsame Regung wie die Schwingung der Distel, mit ihrer trügerischen Schönheit… Dürres Land vor der Brandung…
…Und da kam der erste Tag: ein Kampf mit der Erde zum Vorteil der Erde und ihrer Menschen fängt an! Und einer der größten Baustellen in der Geschichte der Menscheit beginnt: es kommen Maschinen! etc. etc.“
Die Bilder fließen in einander, die Brache verschlingt beinahe das Meer – ja, so schaute diese ganze Gegend aus, auch ein Land weiter nach „unten“. Zumindest in der Kindheit, zumindest soweit meine Erinnerung reicht.
Dort wo es nur Unkraut und бурени и тръни gewachsen waren kommen die Lastwägen, die Bagger, die Zukunft trifft ein… BASCULANTE, BASCULANTE!… Die Stimme verkündet aufgesetzt freudig die светлото бъдеще – das Antlitz der Erde wird verändert, umgestaltet. Die Sonne und die Zukunft schauen uns aus jedem Winkel an, da geht es sogar über die immense Nutzung hinaus, ist das überhaupt möglich Anbetracht des enormen Aufwands?
Es steht mehr aufs Spiel. Das Auge, das filmt, kennt sein Handwerk, die Schaufel jedes Baggers wird zu einem Stück Versprechen, die Männer (es gibt keine Frauen im Film) drehen geschickt den Lastwagensteuer кормилото на камиона. Die Gesichter sind die der Menschen aus dem Volk – ehrlich, отрудени, спокойни. Langsam öffnet sich die Perspektive, die Kamer schaut in die weite, man erfährt die unüberblickbare Dimension, es wird einem schwindelig.
In keinem dieser Bilder auch die leiseste Zeichen oder Reminiszenz, dass es hier schon ein Mal einen Kanal gebaut worden ist, damals, im 1948. Alles ist nur jetzt und da, die große Anstrengung, die große Zukunft. Der große Wurf.
Was ich längst fragen wollte – weißt du was aus dem schmucken kleinen Bahnhof wurde? Wieso haben sie ihn so lange ganz gelassen? Nur aus ästhetischen Überlegungen, damit man diese tollen Aufnahmen machen kann?
Das geile, futuristische, veraltete Fließband – durch die ganze Gegend. Auf offenem Feld, mitten in der Landschaft. Riesige Steine rollen drauf.
Donau-Schwarzes Meer Kanal Km O: Der Bahnhof Agigea. Der wurde niedergerissen. Ein neuer Bahnhof steht an einer anderen Stelle, denn auch die Eisenbahn wurde verlegt. Die Topologie des alten türkischen Ortes wurde neu geschnitten. Mit dem Kalkstein vom Kanal hat mensch den Südteil des Hafens Constanța errichtet. Heute ist dieser Hafenbereich der lukrativste. Verwaltet von den Britten, mit Geld aus Dubai. Ungefähr im Jahre 2000 wurde die Infrastuktur für das Hantieren mit Containern umgestellt. Der Containertransport ist heute die effizienteste Transportweise von Waren auf der Welt. Containerization – eine stillschweigende Revolution seit den 1960-ern. The game is still on. Die Ironie – die profitabelste Infrastruktur in der Gegend heute wurde mit sozialistischer Arbeit gemacht. Die Arbeiter und Arbeiterinnen, denn es gab auch Arbeiterinnen, auch wenn sie im Bild nur wenig vorkommen, haben geliefert; die Geschäftsmänner und –Frauen haben übernommen und ausgefeilt. Aber es wird sehr wenig übers Wasser abtransportiert. Die LKWs stellen sich geduldig vor den Lagerhäusern im Hafen an. Die Autobahn ist neu und schließt die östliche Stadt an die westliche Staatsgrenze an. Ein einziges französisches oder türkisches Containerschiff transportiert 15 mal mehr TEU (twenty foot equivalent unit, ein Maß für Kapazitäten von Containerschiffen und Hafenumschlagsmengen) als der Kanal in einem ganzen Jahr befördert. Der Kanal wird von etwa 250 Menschen verwaltet. Die Flusshäfen seien alt, wurde uns erklärt, der Wasserstand der unteren Donau – unbestädig. Das Flussbett so unbeständig wie das Wasser, so dass die Schifffahrt über die Wintermonate nicht planbar sei. Ich stelle mir dieses Flussbett der alten Donau vor wie eine auf den Kopf gestellte Welt voller feiner Staub und Schlamm und kriechender Wesen, für die dieses ständig bewegende Muster ihrer Welt die Norm ist.
So kommt mir ein Frühmorgen in den Sinn, als das Licht mit dem Dunkel mitsummt, wie das Rumänische sagt. Ein dünner Streifen Morgenröte streckte sich über den Baumkronen, die Bäume noch eingeschlafen, halb versunken im Sumpf vom Delta. Es war ein schönes Ding zum Ansehen. Ich stand auf dem Deck eines kleinen Schiffs und verspürte plötzlich das Bedürfnis ins Wasser zu springen. Vielleicht so wirkt sich auf mich die anziehende Kraft der Unterwelt mit ihrer matschigen Faszination. Die noch nie geformten Dinge im Leben. Wie auch immer, das Wasser stand still, es schien sich gar nicht zu bewegen, obwohl ich wusste, nur paar Kilometer stromabwärts mündete es ins Meer. Doch als ich sprang, merkte ich sofort die Kraft seines stillen Fliessens. Es war als hätte mich ein Riese an den Rippen gepackt und mir ging die Luft aus. Im selben Moment wollte ich mich nicht mehr ins Vegetale auflösen, ich wollte nicht mehr eins mit der treibenden flüssigen Kraft werden und mich retten. Raus, einfach raus!
Es gibt zwei Arten mit dem Wasser zu gehen: entweder DESTRĂMAT, zerstreut in allen Richtungen, wohin die Wellung führt, formlos, oder besser gesagt, in der Form der Strömung. Oder gleitend auf der Wasserfläche. Im ersten Fall wären wir nicht die Meerfrauen der arabischen Märchen, die in heimischer Unbekümmerheit die Unendlichkeit des Ozeans durchschwimmen, sondern die flüssigen Städte und Paläste, wo sie mit dem erstaunten Erdbewohner ankommen. Wir wären also Wände, Strassen, Lichter aus Wasser, vielmehr jene Randviertel, die in keiner Erzählung vorkommen; auf jeden Fall keine humanoids. Beim gleiten hingegen ziehen wir aus der Kontaktfläche mit dem Wasser einen Gewinnn: sei es Geschwindigkeit oder mehr Kraft. Entscheidend ist dabei, dass die Grenze der Elemente bei Berührung sich nicht verwischt, dass das Trockene trocken bleibt, die Nässe nass usw. Der Wunsch nach Kontakt wird so ins Unermessliche steigen. Mensch kann dan leicht, die Früchte dieser Kunst in der Wunderkammer zur Schau stellen oder einfach, der Lust der Aufzählung nachgebend, die Dinge bei Namen nennen, katalogisieren, nummerieren, einer nach dem anderen auf die Tafel festnageln. In beiden Fällen ist Luft eine daraus resultierende Abstraktion.
Konzept und editing Radostina Patulova und Ovid Pop
fürs kollektiv sprachwechsel
Bilder Defragmentare
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